Briefgeheimnis

Hey Ihr Hoppelhäschen des Internets,

leider beruht dieser Strip auf wahren skurrilen Begebenheiten. In der Comiczeichner- und Illustratorenszene kursieren seit vielen Jahren immer wieder die gleichen Briefe von Sammlern, die gerne eine Zeichnung für Ihre Sammlung hätten. In den meisten Fälle ist eine solche Anfrage nichts Ungewöhnliches und auch nichts Verwerfliches.

Allerdings gibt es auch Briefe, bei denen Zweifel aufkommen, ob die geschilderten Sachverhältnisse im Anschreiben der Wahrheit entsprechen. Einer von Ihnen ist der Brief einer alten Dame, die gerne zu ihrem 90.Geburtstag eine Zeichnung haben möchte. Dem geht eine sentimentale Geschichte über ihren verstorbenen Mann und ihre Zeit in den Filmstudio Babelsberg voraus. Der Brief ist von Maschine getippt, die alte Dame hat immerhin selbst unterschrieben mit der Erklärung, sie habe dieses Schreiben ihrem “Großsohn” diktiert, da man mir ihre zittrige Handschrift nicht zumuten möchte. Ich erhielt diesen Brief vor drei Jahren, war ziemlich gerührt und verschickte eine Zeichnung , obwohl ich schon damals Zweifel hatte. Mit der Zeit haben diese sich verfestigt, als der Brief in fast demselben Wortlaut bei Kollegen eintrudelte.

Vor ein paar Wochen erhielt ihn ein befreundeter Zeichner. Auf einmal war es nicht mehr der 90., sondern der 95. Geburtstag, der bevorstand. Wo die fehlenden zwei Jahre der Alterung hin sind, sei dahingestellt.
Noch dazu wird als Absender der (nicht so gewöhnliche) Klarname einer verstorbenen Hollywooddiva benutzt. Die Adresse ist jedoch nicht, wie im Comic dargestellt ein Postfach. Eine Nachfrage im Einwohnermeldeamt ergab, dass die entsprechende Person nicht unter der angegebenen Adresse wohnt. Als wir im Kollegenkreis diesen Brief diskutierten, meldeten sich nicht nur immer mehr Zeichner, die den Brief im fast gleichen Wortlaut bekommen hatte, sondern auch ein Verleger, der überhaupt nicht selbst zeichnet. Dass  jemand mit “großem Interesse” die Arbeit des Adressaten verfolgt, kann also nicht  stimmen.

Vielleicht tue ich einer alten Dame auch ganz unfassbar unrecht, jedoch kann ich das nach all diesen Ungereimtheiten nicht glauben. Es gibt auch noch weitere Briefe mit bewusst emotionalem Anschreiben (samt Postfachadresse), die ich erhalten habe, auf die ich jetzt aber nicht näher eingehen möchte.

Es gelingt mir nicht so ein Vorgehen zu rechtfertigen. Auch, wenn  man sagen könnte “Hey, es ist doch nur ne kleine Zeichnung”, mir geht es nicht um das Anfertigen der Zeichnung. Mir geht es darum, dass ich es nicht  mag  angelogen und emotional manipuliert, bzw. “verarscht” zu werden. Das mag keiner.

Hier meine Vorschläge dazu, wie man sich verhält, wenn man einen Zeichner wegen einer Skizze anschreibt:

1) Seid ehrlich! Keine erfundenen Identitäten oder Geschichten. Sagt einfach, wenn Ihr Sammler seid und eine weitere Zeichnung für Eure Sammlung wollt.

2) Fügt einen frankierten Rückumschlag bei. Ihr fragt nach einer unentgeltlichen Zeichnung, da sollten dem Zeichner keine Unkosten entstehen.

3) Erwartet nicht, dass der Zeichner eine Zeichnung zurückschickt! Ihr habt keinen Anspruch auf diese Zeichnung, sondern es handelt sich um einen Gefallen bei dem es im Ermessen von jedem einzelnen Zeichner liegt, ob er diesem nachkommt. Kein Zeichner besitzt eine Verpflichtung so einen Brief zu beantworten und wenn er dies nicht tut, rechtfertigt das auch keine “erbosten” Folgebriefe.

4) Die Zeichnungen sind als persönliche Geschenke gedacht. Seine kostenlos erstellte Zeichnungen am nächsten Tag mit einer Preissteigerung von 200% bei Ebay einzustellen ist zumindest moralisch nicht okay und ab einem bestimmten Betrag auch ein Rechtsverstoss, wenn der Künstler nicht prozentual  am Erlös beteiligt wird.

Bleibt zu sagen, dass solche Fälle für mich natürlich Ausnahmen sind und auf keinen Fall verhalten sich alle Skizzensammler so. Aber es kommt leider vor und ich fände es schade, wenn die ehrlichen Sammler unter dem so wachsenden Misstrauen leiden müssten. Ich glaube auch kaum, dass die Sammler, die sich angesprochen fühlen sollten meinen Blog lesen. Vielleicht trägt die Kunde sich trotzdem weiter, wer weiß.

Und jetzt wünsch ich Euch noch einen schönen Montag und viel Spaß bei dem, was Ihr so sammelt! :)

 

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02.10.2021, 19 Uhr: Signierstunde auf der Vernissage von “unveröffentlicht“, in der Ludwiggalerie, Oberhausen.

08.08.2020: Der aktuelle Sammelband “Das Leben ist kein Ponyhof – Das Internet schlägt zurück!” ist ab jetzt bei Kwimbi vorbestellbar.

15.07.2020: Neue “Nerd Girl”-Folge: Auflösung.

22.06.2020: “Das Leben ist kein Ponyhof”- Webcomic nach 11 Jahren beendet.

17.09.2019: Ausdruckbares Streikschild für #fridays4future-Proteste mit Nerd Girl auf Patreon!

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